Interview mit Lars-Gunnar Lotz, Regisseur
Was ist das Thema des Films, wie sind Sie darauf gekommen?
Ganz am Anfang war da einfach nur die Idee, etwas über Sozialarbeiter zu machen. Das klingt zuerst einmal etwas langweilig. Aber in meinem Freundeskreis arbeiten viele im sozialen Bereich und die Geschichten von ihnen hörten sich immer sehr spannend an. Ich denke, deren Arbeit findet in Filmen wenig Beachtung. Außerdem habe ich selber viele Jahre ehrenamtlich mit Jugendlichen gearbeitet.
Meine Autorin Anna Maria Praßler und ich suchten also nach einem besonderen und spannenden Ansatz. Durch Zufall sind wir dann auf das Seehaus Leonberg gestoßen, eine Einrichtung des Freien Vollzugs, die es in dieser Art kein zweites Mal gibt. Hier erleben jugendliche Straftäter häufig das erste Mal, was Familie ist, indem sie mit den Sozialarbeitern und deren Familien zusammen wohnen. Im Verlauf der Recherchen bekam ich einen immer größeren Respekt vor den Jungs, die hier ein straffes Programm ableisten, um ihre Chance zu nutzen, ein neues Leben zu beginnen. Die Mitarbeiter haben mir ebenso imponiert, denn deren Engagement geht häufig weit über das rein Berufliche hinaus.
Ausgehend davon haben wir dann die Geschichte des Straftäters Ben entwickelt, der eben in solch einer Einrichtung überraschend auf eines seiner Opfer in Gestalt der Sozialarbeiterin Eva trifft. Ben findet gegen seinen Willen das erste Mal in seinem Leben zu sich selber und somit auch zu etwas, was wir Gewissen nennen.
Mir war es ein großes Anliegen, nicht von hoffnungslosen Fällen und gewalttätigen „Tieren“ zu erzählen, als die man sie häufig abstempelt. Vielmehr wollte ich zeigen, was es bedeutet, wenn man sich für sie einsetzt und dabei intensiv mit ihren Taten konfrontiert. Ich wollte eine Geschichte erzählen, die solche Jungs nicht aufgibt, sondern an sie glaubt.
Außerdem fand ich es interessant, über eine Figur wie Eva zu erzählen, die auf einmal selbst zum Opfer derer wird, für die sie sich bisher eingesetzt hat und die dadurch anfängt, an ihren Idealen zu zweifeln. Durch diese Situation wird sie gezwungen, sich mit ihren eigenen Abgründen auseinander zusetzen.
Funktioniert das Waldhaus im Film genauso wie die Einrichtung in der Realität?
Zu einem Großteil schon. Es gibt im Seehaus Leonberg natürlich noch weitaus mehr Regeln und wöchentliche Ereignisse. Alles ist komplexer. Aber wir mussten uns natürlich fokussieren auf wenige bedeutende Rituale wie die Hilfreiche Hinweise Runde oder der Heiße Stuhl.
Ist das nicht sehr gefährlich, mit Straftätern direkt zusammen zu wohnen?
Das fragt man sich natürlich. Im Seehaus Leonberg ist bisher nichts passiert. Und den Jungs wird ja großes Vertrauen entgegen gebracht, welches sie dann zumeist zurückgeben. Sie kommen dort ja nicht einfach so hin, sondern müssen sich bewerben und schon den Willen zeigen, sich ändern zu wollen. Und sobald es nur zu einem Hauch von körperlicher Gewalt kommt, geht es direkt zurück ins Gefängnis. Und da will eigentlich keiner mehr hin. Außerdem wissen sie um ihre einmalige Chance.
Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit jugendlichen Straftätern umgehen?
Die Rückfallquote im Jugendstrafvollzug ist ja sehr hoch. Man muss sich also über Alternativen Gedanken machen. Häufig rutschen viele Jugendliche im Gefängnis nur noch mehr in die Kriminalität ab. Daher bin ich unbedingt für mehr Einrichtungen wie die des Freien Vollzugs. Dafür braucht man natürlich viele Sponsoren, politische Unterstützung und viele ehrenamtliche Mitarbeiter. Letztendlich sind hier aber die Chancen viel größer, dass die jungen Menschen wieder in ein normales Leben finden, denn es wird viel mehr gefordert und gefördert.
Wie war Ihre Zusammenarbeit mit den Darstellern?
Dies ist ja mein erster Langfilm und ich war sehr froh über die Zusammenarbeit mit der Casterin Karen Wendland. Denn diese Arbeit wird leicht übersehen. Das Casting des Ben war nicht einfach. Zwar gibt es viele junge Talente, doch wir haben jemanden gesucht, dem man sowohl die Härte eines prügelnden Straftäters abnimmt als auch die innere Zerissenheit und die Entwicklung hin zu einem empathiefähigen Jungen. Mit Edin Hasanovic hatten wir da wirklich einen absoluten Glücksfall, da er so eine wuchtige Präsenz und gleichzeitig ein sehr zartes und feingliedriges Spiel hat. Julia Brendler war von Anfang an meine Wunschbesetzung der Eva, da sie der Sozialarbeiterin eine wunderbare Wärme und Tiefe verleiht. Mit beiden, aber auch mit allen anderen vom Ensemble war es eine sehr angenehme Zusammenarbeit.